Wenn es um die bestmögliche Proteinversorgung geht, muss man eigentlich ganz vorne beginnen. Natürlich geht es grundsätzlich und in der obersten Instanz, um eine ausreichende Versorgung mit Protein und das jeden Tag!
Diese Regel begründet sich einerseits über die begrenzte Kapazität zur Speicherung von Aminosäuren in unserem Körper und andererseits über den essentiellen Charakter zumindest einiger Aminosäuren was die ausreichende Eigensynthese durch den Körper unter Mangelversorgung ausschließt.
Wie viel Protein es im Einzelfall pro Tag sein soll, wird kontrovers diskutiert. Ebenso viele unterschiedliche Empfehlungen existieren. Genau genommen lässt sich innerhalb bestimmter Grenzen kein Wert als „richtig oder falsch“ ansehen.
Für mich liegt der richtige Bereich in Abhängigkeit von mehreren Variablen zwischen 1,6 und 3 g pro Kilogramm Körpergewicht für Sportler, die sich nicht zum Kreis derer zählen, die körpereigenen Proteinaufbau via illegale Substanzen pushen.
Da wir dies nun geklärt hätten, bleibt dennoch die Frage bestehen, ob es danach nun nichts mehr gibt und diese Regel das Ende aller Notwendigkeiten zum Thema Proteinversorgung darstellt. Hört und liest man so manche Meinungen im Internet, könnte man meinen JA. Diejenigen, die es gerne einfach haben, versuchen andere dahingehend zu belehren, dass es genügt Protein in ausreichender Menge zu sich zu nehmen. Wann und wie ist dann nur noch Mehraufwand von dem bestenfalls „nicht signifikante“ Vorteile ausgehen. Themen wie die biologische Wertigkeit, der EAA-Gehalt pro Portion oder eben auch das Protein-Timing wären demnach uninteressant.
An diesem Punkt trennen sich nun die Meinungen von reinen Leseratten und Belesenen, aber eben auch aktiven Sportlerinnen und Sportlern die neben Abstracts und Full-Texts aus wissenschaftlicher Literatur zudem aus einem Fundus eigener Erfahrungen schöpfen können. Wer sich mit reiner Wissenschaft auseinandersetzt weiß, dass eine Feststellung von heute bereits morgen als wiederlegt gelten kann. Aus diesem Grund sind es gerade die eigenen Erfahrungen, die eine wissenschaftliche Annahme stützen oder eben auch nicht.
Eines der Themen, die in Zusammenhang mit der Proteinversorgung gerne kontrovers diskutiert oder abgetan werden, ist eine gezielte Aufnahme vor dem Schlafen gehen. In der Theorie soll Bed-Time-Protein die Aminosäureversorgung über die nächtliche Fastenphase aufrecht erhalten, ohne gleichzeitig negative Effekte auf regenerative Vorgänge auszuüben, die hier ablaufen. Im heutigen Beitrag geht es genau darum! Welche Bedeutung sollte man als Sportlerin oder Sportler einer gezielten Verabreichung von Protein vor dem Schlafen gehen beimessen?
Legen wir los!
Der bisherige Kenntnisstand zu Bed-Time-Protein
Binnen 30 Minuten vor dem Schlafen gehen Protein zu sich zu nehmen, zeigte sich in vergangenen Studien bereits als Möglichkeit die metabolische Rate (Ruheumsatz/REE) am nächsten Morgen zu erhöhen (2, 3), die Muskelproteinsynthese über Nacht anzuheben sowie die Regeneration zu fördern (4, 5). Gegenläufige Untersuchungen wie die von de Castro et al (6) riefen zu Bedenken auf, da die Aufnahme von Kalorien vor dem Schlafen das Risiko auf eine unerwünschte Gewichtszunahme fördern könnte. Die Angst vor einer Reduzierung des Ruheumsatzes (7) wurde in weiterführenden Studien in Zusammenhang mit der Aufnahme energiearmer Proteinsnacks vor dem Schlafen gehen bereits widerlegt. Ergebnisse berichten von gleichbleibenden bis (9, 10) bis sogar erhöhten Werten (8).
Bed-Time-Protein sorgt für Aminosäureverfügbarkeit im Blut und in diesem Zusammenhang für eine gesteigerte Proteinsynthese ohne gleichzeitig den Ruheumsatz negativ zu beeinflussen
Als besagte „energiearme Proteinsnacks“ kommen häufig entweder Wheyprotein oder Casein zur Anwendung (4). Als Vorteil von Casein wird die verzögerte Aufnahme genannt. Dies sorgt in der Theorie verglichen mit Wheyprotein zu einem moderaten, dafür aber anhaltenden Anstieg der Plasmaaminosäurekonzentration und hierüber zu einer deutlicheren Erhöhung des Ruheenergieumsatzes (11, 12). Sicher ist man sich nicht, da in Untersuchungen mit Wheyprotein oder Casein (34 – 36 g) zu den Frühstücksmahlzeiten keine Unterschiede des postprandialen Ruheenergieumsatz (Energieumsatz nach dem Essen) festgestellt wurden (13).
Bei Acheson et al (14) stellte sich eine stärkere Erhöhung des Ruheenergieumsatzes mit Verabreichung von Wheyprotein heraus.
Eine neuere Studie von Medzima et al (3) legt nahe, dass es möglichweise weitere Unterschiede gibt. So zeigten die Forscher das der Ruheenergieumsatz am Morgen nach Verabreichung von Bed-Time-Casein oder Wheyprotein verglichen mit einem Placebo ansteigt. Die Fettverbrennung fiel in der Wheyprotein-Gruppe jedoch geringer aus als mit Aufnahme von Placebo oder auch Casein (hoher Insulin-Index als möglicher Auslöser?).
Ohne positive Resultate schlossen Kinsley et al (9, 10) zwei Studien an adipösen Frauen ab in denen sich keinerlei Vorteil auf den Ruheenergieumsatz ergab, weder mit Wheyprotein noch mit Casein.
Auch mit der Verabreichung von 10 oder 30 g Protein aus Milch (Gemisch aus 80 % Casein und 20 % Wheyprotein) an übergewichtige Männer ergaben sich bei Lay et al (15) keine signifikanten metabolischen Vorteile verglichen mit einem Placebo. Zwar existieren mit Casein als Bed-Time-Protein die meisten Untersuchungen (5, 9, 16), dennoch gibt es aber noch keinen eindeutigen Beweis dafür, dass es Wheyprotein überlegen ist. Wheyprotein liefert einen höheren Gehalt an essentiellen Aminosäuren und insbesondere an Leucin, welches dafür bekannt ist, die Proteinsynthese stark anzuregen. Insgesamt scheint Wheyprotein in einem Zeitfenster von 6 Stunden nach Verabreichung einer Mahlzeit die Proteinsynthese auch stärker zu stimulieren als Casein (17). Wie es sich allerdings über die nächtliche Fastenphase verhält die für gewöhnlich länger als 6 Stunden andauert ist nichts bekannt.
Auch wenn es noch nicht eindeutig belegt scheint, liegen die theoretischen Vorteile für die gezielte Verabreichung vor dem Schlafen gehen bei Casein. Eine länger anhaltende Versorgung mit Aminosäuren auch über 6 Stunden hinaus, sowie eine weniger starke Beeinflussung der Fettverbrennung bedingt durch weniger insulinogene Aminosäuren sind als mögliche Gründe zu nennen.
Aus der Studie von Paoli et (18) al weiß man, dass bis 25 g Proteinhydrolisat verabreicht vor dem Schlafen gehen die Muskelproteinsynthese über Nacht nicht stärker stimuliert als dieser Effekt von einem zuvor ausgeführten Krafttraining ausgeht. Wird nicht unmittelbar in den Abendstunden trainiert, sorgt vor dem Schlafen gehen aufgenommenes Protein (40 g) verglichen mit Placebo durchaus für eine verbesserte Erholung im Sinne einer verstärkten Proteinsynthese (19).
Bei Trommelen et al (20) sorgte Krafttraining ausgeführt in den Vorabendstunden ebenfalls für einen Anstieg der Proteinsynthese der jedoch hier mit der Aufnahme von Protein vor dem Schlafen gehen nochmals erhöht auftrat. In dieser Untersuchung zeigte sich zudem, dass die Verabreichung von Protein vor dem Schlafen gehen auch ohne Krafttraining am selben Tag zu einer erhöhten Proteinsynthese führen kann.
Die Wissenschaft zeigt sich uneinig hinsichtlich eines zusätzlichen Effekts von Bed-Time-Protein auf die Proteinsynthese, wenn in den Abendstunden trainiert wird.
Nicht ungewöhnlich sind auch Strategien des morgendlichen Trainings im nüchternen Zustand vornehmlich um damit die Fettverbrennung zu maximieren. Die Effektivität von Nüchtern-Cardiotraining zu diesem Zweck wird breit diskutiert mit Ergebnissen in eine positive (21 – 24) aber auch eine neutrale Richtung (25). Ungeachtet des potenziellen Vorteils für die Fettverbrennung kann nüchternes Training Leistungseinbußen hervorrufen (26) die möglicherweise mit der Verabreichung von Protein vor dem Schlafen gehen am Vortag verhindert werden können. Ob dem wirklich so ist hat bis dato nur eine einzige Studie untersucht (27).
Bei Ormsbee et al führte die Verabreichung einer proteinreichen, kalorienarmen (180 kcal) Ergänzung vor dem Schlafen gehen zu einem nur geringen Anstieg des morgentlichen Grundumsatzes. Leistungsverbesserungen im aeroben Bereich blieben aus. Einen Anstieg des Ruheumsatzes um knapp 100 kcal am nächsten Tag einer Verabreichung von 30g Protein nach dem Schlafen gehen verzeichnen auch Madzima et al (28). In der Praxis deckt die Erhöhung jedoch lediglich den Kaloriengehalt des verabreichten Proteins was letztlich kein echtes PRO-Argument darstellt. Weitere Untersuchungen wurden hierzu bisher nicht durchgeführt. Unklar ist bis dato auch, wie sich die Verabreichung von Protein vor dem Schlafen auf Leistungswerte bei Krafttraining.
Zu möglichen Vorteil einer Verabreichung von Bed-Time-Protein auf die Leistungsfähigkeit bei Nüchtern-Training am nächsten Morgen wurde noch nicht ausreichend geforscht um hierzu eine Aussage zu treffen.
Resümee
Aus vergangenen Studien die zum Thema Bed-Time-Protein durchgeführt wurden lässt sich ableiten, dass man damit eine Erhöhung des Aminosäurespiegels in der Nacht erreicht. Dieser wirkt sich einerseits positiv auf die Proteinsynthese aus, bedeutet aber andererseits keinen metabolischen Nachteil im Sinne einer Reduzierung des Grundumsatzes. Wenngleich nicht eindeutig belegt, spricht dennoch einiges dafür, dass die Verwendung von Casein anstelle von Wheyprotein als Bed-Time-Protein die richtige Vorgehensweise darstellt. Optimiert mit einer gewissen Menge, gewisser essentieller Aminosäuren wäre die Casein-Gabe sicher noch effektiver aber das soll Thema eines gesonderten Beitrags sein.
Da von Krafttraining eigenständige Effekte auf die Proteinsynthese ausgehen schwinden potenzielle Vorteile von Bed-Time-Protein mit dem Zeitpunkt des Trainings – ABER wie wir wissen ist Proteinsynthesesignal nicht gleich Proteinaufbau, weshalb es sich hier um eine sehr theoretische Sichtweise handelt – ERGO – Auch wenn Krafttraining die Proteinsynthese anhebt muss man danach dennoch Protein konsumieren um ausreichend essentielle Aminosäuren für Proteinaufbau zur Verfügung zu stellen.
Ob sich mit Bed-Time-Protein die Leistungsfähigkeit nüchterner Trainingseinheiten am darauf folgenden Tag steigern lässt wird sich in weiterführenden Studien zeigen die derzeit noch nicht existieren.
In Teil 2 werde ich mich mit den neuesten Studien zu Bed-Time-Protein befassen um am Schluss meine Praxisempfehlung für euch auszusprechen.
Bis dahin verbleibe ich mit sportlichem Gruß
Holger Gugg
www.body-coaches.de
Quellen
(1) http://www.mdpi.com/2072-6643/10/9/1273
(2) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25859885
(3) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23768612
(4) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27916799
(5) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22330017
(6) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/14704301
(7) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19394978
(8) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27329516
(9) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27472361
(10) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24833598
(11) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12730415
(12) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21084649
(13) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22274550
(14) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21228266
(15) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29845905
(16) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27643743
(17) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19589961
(18) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18936219
(19) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22330017
(20) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27643743
(21) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21411835
(22) https://scialert.net/abstract/?doi=pjn.2010.882.886
(23) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29997729
(24) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27609363
(25) https://www.mdpi.com/2411-5142/2/4/43
(26) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29315892
(27) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27329516
(28) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23768612
(29) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30201853
(30) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27472361
(31) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29845905
(32) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27643743
(33) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21084649
(34) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25926415
(35) https://jissn.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12970-018-0228-9
(36) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28515842
(37) http://www.mdpi.com/2072-6643/8/8/452
(38) https://journals.humankinetics.com/doi/abs/10.1123/ijspp.2018-0385
(39) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23046224
(40) https://journals.humankinetics.com/doi/abs/10.1123/ijspp.2018-0385