Liebe Leserinnen und Leser, Liebe PEAK-Kundinnen und -Kunden,
aus Teil 1 wissen wir bereits, dass man beim Thema Übertraining die wichtige Unterscheidung zwischen Overreaching (functional und unfunctional) sowie Overtraining machen muss. Die beiden Letztgenannten (Unfunctional Overreaching, Overtraining) treten ungewollt auf und sind mit einer Reihe an negativen Begleiterscheinungen verbunden.
Übertraining – Echte Gefahr oder Mythos für Trainingsfaule? Teil 1
Zu richtigem Übertraining gibt es zu sagen, dass es schleichend auftritt und dass die Symptomatik sehr viele Bereiche unseres Körpers betreffen kann. Anders als vielfach vermutet ist es in den seltensten Fällen ausschließlich zu viel Training aus dem Übertraining resultiert. Für seine Entstehung sind eine Reihe weiterer Gründe verantwortlich, die in Ihrer Gesamtheit zu einem Ungleichgewicht zwischen Anforderungen und Ressourcen führen.
Heute soll es darum gehen, welche Ursachen auf welchen Ebenen Übertraining haben kann. Zudem möchte ich einige Wege aufzeigen, wie man sich bei bestehendem Übertraining am besten verhalten sollte, um möglichst schnell wieder seine volle Leistungsfähigkeit zurück zu erlangen.
Der Weg aus dem Übertraining
Auf dem Weg aus dem Übertraining lautet die erste Station Ursachenfindung. Leichter gesagt als getan, da eine Vielzahl an möglichen Symptomen auftreten können, die nicht spezifisch nur bei Übertraining anzutreffen sind.
Stimmungslage und Übertraining
Eine Möglichkeit ist es, Beobachtungen hinsichtlich auftretender Stimmungsschwankungen anzustellen. Neigen Sportlerinnen und Sportler dazu, schnell depressiv zu werden, oder verschlechtert sich die Stimmungslage, kann dies auf entstehendes Übertraining hindeuten.
Stimmungsschwankungen und leicht depressive Verstimmungen müssen als Warnzeichen für Übertraining angesehen werden!
Übertraining und das autonome Nervensystem
Eine weitere Möglichkeit ist es, eine Person nach dem Auftreten einer sog. autonomen Dysbalance zu analysieren. Man versteht darunter ein Ungleichgewicht der beiden Achsen des autonomen Nervensystems, nämlich des Sympathikus und des Parasympathikus. Überwiegt der Sympathikus, stellen sich möglicherweise Symptome wie ein erhöhter Ruhepuls, Schlafstörungen, Appetitverlust, Nervosität, eine Reduzierung des Körpergewichts oder eine verzögerte Regeneration ein. Dominiert der Parasympathikus treten vor allem bei hoher Intensität Koordinationsstörungen auf, oder es kommt zur Veränderungen bei Hormonmarkern. Wenngleich man sich nicht einig ist, inwieweit beide Arten tatsächlich getrennt voneinander in Erscheinung treten, steht fest, dass die Symptomatik einer Sympathikus-Dominanz eher bei Kraft- und Schnellkraftsportarten auftritt, während man Übertraining ausgelöst durch eine Überstimulation des Parasympathikus häufiger bei Ausdauersportarten vorfindet.
Abhängig von der Sportart kann man sich bei der Diagnose von Übertraining eher auf sympathische oder parasympathische Symptome konzentrieren, sofern man in der Lage ist, diese Trennung zu erkennen.
Übertraining und das zentrale Nervensystem
Verwechselt werden Einflüsse ausgehend vom autonomen Nervensystem oftmals mit einer Auswirkung auf das zentrale Nervensystem. Eine Überlastung motorischer Einheiten in ihrer Gesamtheit inkl. Nervenverbindungen und Co entsteht, wenn überhaupt nur im stark fortgeschrittenen Zustand eines Übertrainings. Als erstes kommt es zur Ermüdung der Arbeitsmuskulatur, ausgelöst durch Veränderungen im Substratangebot (Glykogen).
Anders als vielfach behauptet, handelt es sich beim schwächsten Glied der Kette hin zu einem Übertraining im Regelfall NICHT um das zentrale Nervensystem!
Substratversorgung und Übertraining
Im Übertraining besteht generell ein Problem mit der Glykogenversorgung. Wie bereits festgestellt, findet die Re-Synthese von verbrauchtem Glykogen nicht mehr mit einer 100%-igen Effizienz statt. Dauerbelastungen durch zu viel Training in Kombination mit einer zu geringen Aufnahme von Ersatzsubstraten führen so mitunter zu chronischer Hypoglykämie sowohl in muskulären als auch in hepatischen Speichern. Derartige Veränderungen werden sich in einem Abfall der Leistung im anaeroben Bereich niederschlagen, auch wenn durch den geringeren Gehalt an Glykogen Muskelbrennen durch weniger entstehendes Laktat zunächst etwas später einsetzen kann.
Weniger vorhandenes Glykogen kann natürlich den Verbrauch von BCAA als Ersatzsubstrat erhöhen, indem mehr davon in der Leber oxidiert werden müssen, um die Glucoseversorgung zu gewährleisten.
Interessant:
Eine eigene Hypothese besagt, dass der Verlust an BCAA durch Übertraining im Körper einen Grund für die entstehende Müdigkeit darstellen könnte.
Weniger BCAA:
- bedeuten weniger Konkurrenz an der Blut-Hirn-Schranke mit Tryptophan beim Übertritt ins Gehirn,
- bedeutet so ein höheres Tryptophan-Aufkommen im Gehirn,
- ergo ein höheres Serotoninaufkommen und somit mehr Müdigkeit.
In beiden Fällen, also einem reinen Glykogenmangel, aber auch einem daraus entstehenden Mangel an BCAA, ist es notwendig, für eine ausreichende Versorgung mit Kohlenhydraten zu sorgen.
Gestörte Glutamin-Homöostase
Glutamin ist nicht nur die Aminosäure mit dem höchsten Aufkommen in der Muskulatur, sondern spielt auch eine Rolle für das Immunsystem. Eine gestörte Glutamin-Hömöostase, ausgelöst durch Infekte, medizinische Eingriffe, aber auch durch sportliche Belastungen, kann so zu einer verstärkten Anfälligkeit für Erkrankungen bzw. ein generell geschwächtes Immunsystem sorgen. Defizite in Sachen Regeneration können sich hier zusätzlich nachteilig auswirken, indem sie die Freisetzung von Glutamin aus der Muskulatur limitieren.
Eine gestörte Glutamin-Homöostase kann zu einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit dank eines geschwächten Immunsystems führen. Auch dies tritt im Übertraining häufig auf!
Radikalbelastung und Übertraining
Freie Radikale sind einerseits die Übeltäter unseres Daseins und lassen uns Altern, sie sind aber auch notwendig für Adaptionen. Solange das Aufkommen an freien Radikalen im Gleichgewicht mit der Kapazität antioxidativer Systeme steht, muss man sich über sie keine größeren Sorgen machen. Zuviel mitochondriale Tätigkeit (Training) kombiniert mit zu wenig Regeneration führt jedoch zu einem Überaufkommen an freien Radikalen und begünstigt so den Niedergang von Zellen.
Eine starke antioxidative Abwehr setzt die Anwesenheit von ausreichend Glutamin voraus, da hieraus das stärkste Antioxidans, genannt Glutahion, gebildet wird. Auch hier kommt also der oben genannte Punkt der gestörten Glutamin-Homöostase zu tragens wobei man sagen muss, dass die antioxidative Abwehr auch auf nutritiver Seite durchaus signifikant gefördert werden kann.
Mehr körperliche Aktivität produziert mehr freie Radikale. In Kombination mit schwachen antioxidativen Systemen und zu wenig Regeneration kann dies die Symptomatik von Übertraining begünstigen.
Zytokine und Übertraining
Ähnlich wie mit freien Radikalen geht es uns auch mit Zytokinen. Man versteht darunter im menschlichen Körper produzierte Peptide, die das Wachstum und die Differenzierung von Zellen sowie die Immunantwort steuern. Mit ausbelastendem Training fördern wir die Entstehung entzündungsfördernder Zytokine. Prinzipiell sind Entzündungen eine wichtige Sache, solange es auch hier nicht zu einem Überaufkommen und somit krankhaft entzündlichen Zuständen kommt. Im Muskel ist es daher notwendig, auf jedes Training ausreichend Regeneration folgen zu lassen. Auch der Glykogenstatus spielt bei der Entstehung eines besonderen Zytokins mit dem Namen IL-6 eine wichtige Rolle. Je besser gefüllt die Glykogenspeicher sind, desto weniger stark werden IL-6 (Interleukine – 6) produziert.
Ein Ungleichgewicht zwischen körperlicher Anforderung und Regeneration kann ein Überaufkommen an Entzündungsmarkern und somit Übertraining fördern.
Übertraining und Hormone
Hier ist interessant, wie stark sich einige Hormonstände mit dem Ausmaß des Übertrainings verändern.
Bestes Beispiel ist hier Cortisol. Das Stresshormon tritt zu Beginn besonders eines sympathisch bedingten Übertrainings vermehrt auf. Im weiteren Verlauf kommt es dann zum eigentlich gefährlicheren Zustand des Cortisolmangels. Ohne Cortisol kann der Körper nicht mehr auf anfallende Stressreaktionen reagieren und gibt sehr schnell auf. Der Fachausdruck hierfür lautet „Burn-Out“.
Zunächst mehr Cortisol und ein in vielen Fällen reduzierter Testosteronspiegel verändern den besonders wichtigen Testosteron/Cortisol-Quotienten zugunsten des Cortisols. Dies begünstigt ein kataboles Stoffwechselmilieu. An Muskelaufbau oder Leistungssteigerung ist hier erst einmal nicht zu denken.
Auf den Leptinspiegel hat Training zumindest eine kurzfristige Auswirkung, besonders im Ausdauersport, indem es zu Veränderungen intramuskulärere Triglyceridspiegel und einer vermehrten Stimulation von b-3-Adrenozeptoren kommt. Im Laufe der Regeneration normalisieren sich die Leptinpegel im Regelfall wieder.
Bei Übertraining kann es je nach Ausmaß zu unterschiedlichen Hormonkonstellationen kommen. Am ehesten kann man sich auf hormoneller Basis hier auf ein verschobenes Testosteron/Cortisol-Verhältnis als Marker verlassen.
Fazit
Ursachenforschung ist in Sachen Übertraining ein Fass ohne Boden. Neben einer gewissen Multikausalität müssen dennoch Schwerpunkte der Entstehung herausgearbeitet werden, um das Problem bei der Wurzel packen zu können. Viele der Ursachen gehen in Hand in Hand, die eine Ursache begünstigt wiederum die andere oder resultiert aus ihr.
In der Praxis sollte man immer ein kritischer Beobachter seiner selbst sein, sich aber auch in regelmäßigen Abständen von einer neutralen Person einen Eindruck von sich selbst einzuholen, da beispielsweise Stimmungsschwankungen etwas sein können, dass wir selbst nicht wirklich wahrnehmen. WAS wir wahrnehmen sind Leistungseinbußen, Auswirkungen auf das Appetitverhalten, schnell eintretende Ermüdung oder Laktatakkumulation, lange Regenerationszeiten oder häufiger auftretende Krankheiten.
Ich denke jedem ist klar, dass mehr in die Schiefe Bahn geraten muss, als nur etwas mehr als üblich zu trainieren, um in einen Übertrainingszustand zu verfallen. Einmal darin gefangen, wird es auch nicht möglich sein, sich innerhalb nur einer Woche ohne Training als einzige Maßnahme wieder daraus zu befreien. Mögliche Regenerationszeiten können individuell mehrere Wochen oder sogar Monate in Anspruch nehmen. In dieser Zeit müssen zudem grundlegende Änderungen in Sachen Ernährung, Training und Lifestyle getroffen werden.
Was tun bei Übertraining
Es ist geschehen! Von den genannten 15-20 Symptomen im Laufe unseres Artikels haben sich mindestens 10 davon in den letzten Monaten eingeschlichen. Beinahe schon „Gott sein Dank“ ist das Training inzwischen dermaßen unproduktiv und auch mit starker Erschöpfung im Nachhinein verbunden, dass es bis auf weiteres eingestellt wurde.
Was nun ? Welche Maßnahmen kann man selbst treffen, um sich möglichst effektiv wieder aus dem Übertraining zu manövrieren?
Komponente Training
Zum einen wäre da auf körperlicher Seite natürlich absolute Ruhe zu nennen. Einzige Ausnahmen stellen aktive Regenerationsmaßnahmen wie Spaziergänge oder Entspannungsübungen dar. Individuell wird ein Trainings-Stop von einigen Wochen bis hin zu mehreren Monaten notwendig werden, wobei in der Literatur ein Minimum von 6 Wochen Pause für leistungsorientiertes, sportartspezifisches Training veranschlagt wird. Das Biofeedback und möglicherweise die Kontrolle des Testonsteron/Cortisol-Verhältnisses zeigen, ab wann an einen leichten Wiedereintritt ins Trainingsleben zu denken ist bzw. an wann es Sinn macht, regenerative Disziplinen in seine Woche mit einzuplanen.
Komponente Versorgung
Energetisch ist es besonders wichtig, seine Glykogenreserven zu befüllen und befüllt zu halten, was aber nicht bedeutet, dass man bei Übertraining einen Freifahrtschein für exzessiven Kohlenhydratkonsum ausgestellt bekommt. Glutamin und auch BCAA haben sich als wichtige Puzzleteile erwiesen, so dass hier eine zumindest vorübergehende zusätzliche Supplementierung sicher Sinn macht. Wichtig ist zudem eine ausreichende Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren, da ihnen entzündungshemmende Eigenschaften zugesprochen werden. Von Phosphatidylserin wird in der Sporternährung angenommen, dass es vermag, das Cortisolaufkommen zu verringern, weshalb auch die Einnahme über eine bestimmte Zeit Sinn macht. Aus Erfahrungsberichten und Wissenschaft weiß man um die positiven Einflüsse von ZMA (insbesondere Zink) auf einen ungünstigen Hormonhaushalt. Tryptophan wird als Serotoninvorläufer als Antidepressivum genommen.
Kontrolle
Letztlich kann bei einem richtigen Übertraining nur angeraten werden, sich zumindest für Kontrollzwecke unter ärztliche Aufsicht zu begeben.
Fazit
Körperliche Zurückhaltung und nutritiver Ausgleich sind die beiden Maßnahmen, die WIR umsetzen können, wenn es tatsächlich zu einem Übertrainingszustand gekommen ist. Sicher sinnvoll, besonders in Sachen Ernährung, ist es, einen erfahrenen Ernährungsberater mit ins Boot zu holen.
Resümee
Wenn Ihr, liebe Leserinnen und Leser, künftig wieder einmal jemanden schreiben seht und reden hört, der von sich behauptet, sich im Übertraining zu befinden, solltet ihr Euch nicht scheuen, ihm eine passende Antwort zu vermitteln. Wer sich wirklich im Übertraining befindet, wird dies nicht in die Welt hinaus posaunen und möchte sich damit auch nicht wichtig machen, da es ihm wirklich schlecht geht!
Was ganz klar aus den Ausführungen hervorgeht ist, dass man schon eine Menge Dinge über eine längere Zeit übersehen oder verkehrt machen muss, um ins Übertraining zu gelangen. Ist es dann aber so, hält einen dieser Zustand längere Zeit in seinem Bann.
Wer sich zutraut, Overreaching in seinen Trainingsalltag einzubauen, sollte sich selbst gut kennen oder Vertraute um sich haben, die kritisch in Ihrer Einschätzung sind. Letztlich zählt hier natürlich die Verbesserung von Leistungswerten als Indikator, dennoch muss man Zeitfenster und Intensitäten geschickt und vor allem individuell auswählen. Zu Overreaching bestehen keine allgemeingültigen Empfehlungen und selbst wenn sie bestehen, darf man sie nicht für bare Münze nehmen. Grund dafür sind gänzlich unterschiedliche Gegebenheiten, mit denen jeder von uns Tag für Tag auf andere Art und Weise zu kämpfen hat. Nicht einmal auf ein und dieselbe Anforderung reagieren zwei Personen genau gleich, weshalb hier äußerstes Fingerspitzengefühl gefragt ist.
Mein Rat zum Abschluss:
Es ist nicht verkehrt, sich zu fordern und versuchen, sich an seine Grenzen zu bringen, solange das alles mit dem notwendigen Quäntchen Vernunft und Übersicht durchgeführt wird. Wer viele Muskeln aufbauen will oder wer an einer Maximalleistung im Bankdrücken interessiert ist, muss einfach nun mal mehr tun, als nur jeden drittenTag zu trainieren. Eine saubere, zielgerichtete und voll versorgende Ernährung sowie ausreichend Schlaf sind sich mindestens genauso wichtig. Sie sind es, die aus dem zerstörten Muskel durch das Training neue größere oder stärkere Muskeln machen. Letztlich sind wir alle auch etwas harmoniebedürftig, weshalb auch das private und berufliche Umfeld großen Einfluss auf die Anfälligkeit im Punkto Übertraining ausübt.
Hört auf Euren Körper, um Übertraining zu vermeiden und hört auf zu behaupten, ihr seit im Übertraining, wenn ihr nicht mal ansatzweise in die Nähe dieser wirklich schlimmen Symptomatik kommt!
Sportliche Grüße
Euer
Holger Gugg
www.body-coaches.de