Der Begriff „Nutrition-Timing“ wird in der Sportler-Szene breit diskutiert. Man versteht darunter das gezielte Timen von Mahlzeiten, Nährstoffen oder anderen Substanzen zu bestimmten Zeiten des Tages. Man erhofft sich davon nochmals bessere Effekte als mit einer unspezifischen Aufnahme ein und derselben Substanz. Ein gutes Beispiel für „Nutrition-Timing“, das jeder versteht, ist die Verwendung eines Sleep-Aids, also einer Ergänzung, die dafür sorgen soll, Schlafeigenschaften zu verbessern. Niemand würde auf die Idee kommen, ein solches Präparat morgens, mittags oder nachmittags einzunehmen. Man timt es gezielt unmittelbar vor dem zu Bett gehen und erhofft sich davon eine dämpfende Wirkung, die das Einschlafen erleichtert oder beim Durchschlafen hilft.
Weit weniger einig ist man sich darüber, ob beispielsweise die spezifische Aufnahme von Nährstoffen nach dem Training einen merklichen Benefit ermöglicht. Begriffe wie „das anabole Fenster“ wurden dabei bereits viele Male unkonstruktiv und schlecht selektiert kritisiert mit dem Ziel, Ernährung als Thema zu vereinfachen nach dem Motto „Kalorie gleich Kalorie“ und „egal wann, Hauptsache du isst“. In den vergangenen Jahren wurden derartige Thesen durch neue Untersuchungen in Richtung Biorhythmus stark relativiert.
Heute weiß man, dass es einen enormen Einfluss hat, ob man seine große 1000 kcal Mahlzeit auf 08 Uhr morgens oder auf 20 Uhr abends timt, oder dass es durchaus Sinn macht, seine Gesamtproteinaufnahme nicht im Rahmen von zwei Gaben, sondern besser verteilt auf mehrere Gaben einzunehmen.
Der heutige Beitrag befasst sich mit dem Nutzen, dem Pro und Contra einer gezielten Gabe von Nährstoffen nach dem Training, auch genannt Post-Workout-Nutrition.
Background Kohlenhydrate
Aus historischer Sicht wurde Nährstofftiming erstmals in den 1970er und 1980er Jahren im Rahmen einer Arbeit erwähnt, die die Auswirkungen einer erhöhten Kohlenhydrataufnahme auf den Glykogenstatus und die Trainingsleistung untersuchte (1, 2). Ivy und Kollegen (3) waren eine der ersten Gruppen, die zeigten, dass das Timing von Kohlenhydraten die Resynthese von Glykogen (Kohlenhydratspeichern) nach dem Training beeinflussen kann (4, 5).
Tatsächlich geht es noch heute darum, für eine effektive Wiederherstellung der vollen Leistungsfähigkeit die Glykogenverfügbarkeit im trainierten Muskel schnell wieder zu gewährleisten. Es ist gut dokumentiert, dass unsere Glykogenspeicher begrenzt sind (7, 8) und bei moderatem bis hochintensivem Training als vorherrschende Kraftstoffquelle fungieren (9, 10). Diese Feststellung hat in den Köpfen einiger Sportlerinnen und Sportler aber auch Coaches für völlig überzogene Vorstellungen aufzunehmender notwendiger Kohlenhydrate am besten vor, während und nach dem Training gesorgt.
Auf gut Deutsch wurde und wird es noch immer mit der Kohlenhydrataufnahme in Sportarten wie Fitnesstraining oder Bodybuilding maßlos übertrieben.
Studien zeigen klar, dass man sich schon anstrengen muss, um in einem Krafttraining eine auch nur 40%-ige Ausschöpfung vollgeladener muskulärer Glykogenspeicher zu erreichen (12). Eine aktuelle Studie, wie die von Henselmans (6) (der wie man es nicht anders vermuten würde aus dem Keto-Lager stammt), relativiert die Notwendigkeit hoher Mengen Kohlenhydrate in Mengen von 4 bis 10 g pro Kilogramm Körpergewicht nach dem Training und hat damit Recht! Es findet schlichtweg kein dazu passender Bedarf statt, zumindest nicht in 90 und auch nicht in 120 ambitionierten Minuten im Gym im Push-Pull-Beine-Split.
Die Autoren schlagen bei geringem Trainingsvolumen 0,3 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht mit 15 g Kohlenhydraten und bei höherer Intensität oder höherem Volumen Mengen bis 1,2 g Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht nach dem Training vor, allerdings bezieht sich die Arbeit hauptsächlich auf Kraftleistungen und weniger auf Muskelaufbau. Ein völlig anderes Bild zeigt sich im Ausdauersport oder auch der einen oder anderen Team-Sportart. Hier können je nach Aktivitäts-Variablen insgesamt und auch nach dem Training deutliche höhere Mengen an Kohlenhydraten notwendig sein, um eine optimale Glykogenresynthese und in diesem Zusammenhang schnelle Wiederherstellung der vollen Leistungsfähigkeit zu gewährleisten (15, 16, 17,18, 19, 20, 21). Tatsächlich stammen die meisten Studien zum akuten Kohlenhydratbedarf für Sportler aus dem Ausdauersport und wurden fälschlicherweise auf den Kraftsport übertragen.
Für die Zielsetzung Muskelaufbau verhält es sich nochmals etwas anders. Hier spielt neben der reinen energetischen Regeneration auch die Auswirkung gezielter Nährstoffe auf den Proteinstoffwechsel eine Rolle. Es geht um eine Anregung der Proteinsynthese, eine Vereitelung von Proteinabbau und die anabole Signalgebung ausgehend von Insulin.
Kohlenhydrate im Anschluss ans Training machen Sinn, allerdings in weitaus geringerer Menge als man in so manchen Foren liest. Jede Aufnahme relativiert sich über den Bedarf, weshalb Du Dich mit dem echten Kohlenhydratbedarf im Training befassen solltest, um für Dich eine passenden Kohlenhydratmenge nach dem Training festzulegen.
Background Proteinabbau
Körperliche Belastung kann zu einem erhöhten Proteinabbau von bis zu 50 % führen, der bis zu 24 Stunden vorhält. Während direkt im Anschluss an das Training noch ein relativ geringer Proteinabbau messbar ist, steigt dieser im Verlauf doch relativ schnell an. Je nach Versorgung vor und oder während dem Training kann sich aus dem erhöhten Proteinabbau nach körperlicher Belastung eine negative Proteinbilanz ergeben, mit der Folge, dass gespeicherte Aminosäuren abgebaut und nicht wie eigentlich gewünscht vermehrt eingelagert werden. Proteinabbau vereitelt man effektiv über die Anwesenheit von Insulin. Es vermittelt antikatabole Effekte, indem es die Verfügbarkeit von Aminosäuren anhebt, allerdings müssen diese hierfür natürlich auch zur Verfügung stehen, was im Umkehrschluss deren gezielte Gabe nach der Belastung auf den Plan ruft (22, 23). Fleisch als schwer und sehr langsam verdauliche Proteinquelle eignet sich trotz seiner hohen Wertigkeit hierfür akut übrigens weniger gut. Im besten Falle arbeitet man nach dem Training mit isolierten essenziellen Aminosäuren oder einer leicht verdaulichen sonstigen Proteinquelle von hoher Wertigkeit.
Um Proteinabbau nach der Belastung einzudämmen, erscheint eine gezielte und zeitnahe Verabreichung von leicht und schnell verdaulichen Kohlenhydraten zusammen mit Protein oder essenziellen Aminosäuren am zielführendsten. Wenn Dein Training aus 45 Minuten submaximaler Zirkel mit 3 Minuten Satzpause und zwei Toilettengängen besteht, verliert sich die Relevanz natürlich ebenso, wie wenn Du Dir vor und während des Trainings hochkalorische Gemische aus Protein/Aminosäuren und Kohlenhydraten einverleibst.
Background Proteinaufbau
Auf die Proteinsynthese, also die Proteinbildung, übt Krafttraining einen stimulierenden Einfluss aus, der 24 bis sogar 48 Stunden nach der Belastung anhält. Feststellungen wie diese waren es, die dazu geführt haben, dass eine gezielte Post-Workout Nutrition lange Zeit und sogar von eigentlich hochrangigen Wissenschaftlern in öffentlichen Publikationen in Frage gestellt wurden. „Wenn die Proteinsynthese für bis zu 48 Stunden erhöht bleibt, welchen Sinn macht dann der Post-Workout-Shake nach dem Training.“
Schon jetzt wissen es aufmerksame Leserinnen und Leser besser!
Bezogen auf das Endziel eines Krafttrainings, nämlich den Aufbau von Muskelmasse (Hypertrophie oder auch Dickenwachstum von Muskelfasten) gibt es eine nicht zu verachtende Datenlage, die von Vorteilen meist kombinierter Gaben von Protein und Kohlenhydraten zeitnah ans Training getimt berichten (11, 13, 14). Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass hierzu auch Studien publiziert wurden, die derartige Effekte nicht aufzeigen konnten. Oftmals nicht beachtet und dennoch praxisrelevant erscheint die abschließende Feststellung, dass bis dato keine einzige Studie publiziert wurde, die einer gezielten Verabreichung von Kohlenhydraten und Protein oder Aminosäuren nach dem Training einen Nachteil nachgewiesen hätte. Wenn ich nun also Daten vorfinde, die potenzielle Vorteile in Aussicht stellen und auf der anderen Seite durch eine gezielte Post-Workout Nutrition keinerlei Nachteil entsteht, was werde ich als vernünftiger Trainierender oder als vernünftig Trainierende tun?
RICHTIG – Ich werde dem Ganzen zumindest die Chance geben, sich im Praxistest zu beweisen, oder eben nicht.
Resümee
Beim Thema Post-Workout Nutrition kann man durch aus von einer schlüssigen theoretischen Basis und einen guten Studienfundament sprechen. Beides stellt positive Effekte einer Umsetzung in Aussicht. Die verfügbaren Daten reichen in jedem Falle, um Dir den Selbstversuch ans Herz zu legen und Deinen eigenen Erfahrungswert mit dieser Thematik zu sammlen. Nutze das Optimierungs-Tool NUTRITION TIMING für Dich und Deine bestmöglichen Fortschritte!
Sportliche Grüße
Holger Gugg
Quellen:
1. Sherman WM, Costill DI, Fink WJ, Miller JM. Wirkung der Manipulation der Trainingsdiät auf das Muskelglykogen und seine anschließende Nutzung während der Leistung. Int J Sports Med. 1981;2(2):114–8.
2. Karlsson J, Saltin B. Diät, Muskelglykogen und Ausdauerleistung. J Appl Physiol. 1971;31(2):203–6.
3. Ivy JL, Katz AL, Cutler CL, Sherman WM, Coyle EF. Muskelglykogensynthese nach dem Training: Wirkung der Zeit der Kohlenhydrataufnahme. J Appl Physiol. 1988;64(4):1480–5.
4. Kerksick C, Harvey T, Stout J, Campbell B, Wilborn C, Kreider R, Kalman D, Ziegenfuss T, Lopez H, Landis J, et al. International Society Of Sports Nutrition Position Stand: Nutrient Timing. J Int Soc Sport Nutr. 2008;5:17.
5. Cermak NM, Res PT, De Groot LC, Saris WH, Van Loon LJ. Proteinergänzung verstärkt die adaptive Reaktion der Skelettmuskulatur auf Widerstandstraining: Eine Meta-Analyse. Am J Clin Nutr. 2012;96(6):1454–64.
6. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8878406/
7. Coyle EF, Coggan AR, Hemmert MK, Ivy JL. Muskelglykogenverwertung bei längerem anstrengendem Training bei Kohlenhydraten. J Appl Physiol. 1986;61(1):165–72.
8. Coyle EF, Coggan AR, Hemmert MK, Lowe RC, Walters TJ. Substratverbrauch während längerem Training nach einer Mahlzeit vor dem Training. J Appl Physiol. 1985;59(2):429–33.
9. Tarnopolsky MA, Gibala M, Jeukendrup AE, Phillips SM. Ernährungsbedürfnisse von Spitzensportlern. Teil I: Kohlenhydrat- und Flüssigkeitsbedarf. Eur J Sport Sci. 2005;5(1):3–14.
10. Dennis SC, Noakes TD, Hawley JA. Ernährungsstrategien zur Minimierung der Müdigkeit bei längerem Training: Flüssigkeit, Elektrolyt und Energieersatz. J Sports Sci. 1997;15(3):305–13.
11. https://www.researchgate.net/publication/296356128_Resistance_training_reduces_muscle_protein_turnover
12. Robergs RA, Pearson DR, Costill DL, Fink WJ, Pascoe DD, Benedict MA, Lambert CP, Zachweija JJ. Muskelglykogenolyse während unterschiedlicher Intensitäten des Gewichtswiderstandstrainings. J Appl Physiol. 1991;70(4):1700–6.
13.https://www.researchgate.net/publication/314489893_Post-absorptive_muscle_protein_turnover_affects_resistance_training_hypertrophy
14. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17111010/
15. Howarth KR, Moreau NA, Phillips SM, Gibala MJ. Die Codierung von Protein mit Kohlenhydraten während der Erholung von Ausdauertraining stimuliert die Proteinsynthese der Skelettmuskulatur beim Menschen. J Appl Physiol. 2009;106(4):1394–402.
16. Van Hall G, Shirreffs SM, Calbet JA. Muskelglykogen-Resynthese während der Erholung von Zyklusübungen: keine Wirkung einer zusätzlichen Proteinzufuhr. Zeitschrift für Angewandte Physiologie (Bethesda, Md : 1985). 2000;88(5):1631–6.
17. Van Loon L, Saris WH, Kruijshoop M. Maximierung der Muskelglykogensynthese nach dem Training: Kohlenhydratergänzung und die Anwendung von Aminosäure- oder Proteinhydrolysatmischungen. Am J Clin Nutr. 2000;72:106–11.
18. Devries MC, Hamadeh MJ, Phillips SM, Tarnopolsky MA. Menstruationszyklusphase und Geschlecht beeinflussen die Muskelglykogenverwertung und den Glukoseumsatz während des Ausdauertrainings mittlerer Intensität. Am J Phys Regul Integr Comp Phys. 2006;291(4):R1120–8.
19. Carter SL, Rennie C, Tarnopolsky MA. Substratverwertung beim Ausdauertraining bei Männern und Frauen nach Ausdauertraining. Am J Physiol Endocrinol Metab. 2001;280(6):E898–907.
20. Wismann J, Willoughby D. Geschlechterunterschiede im Kohlenhydratstoffwechsel und Kohlenhydratbelastung. J Int Soc Sport Nutr. 2006;3:28–34.
21. Escobar KA, Vandusseldorp TA, Kerksick CM: Kohlenhydrataufnahme und widerstandsbasiertes Training: Sind aktuelle Empfehlungen, die den tatsächlichen Bedarf widerspiegeln. Brit J Nutr 2016;Im Druck.
22. Kraemer WJ, Hatfield DL, Spiering BA, Vingren JL, Fragala MS, Ho JY, Volek JS, Anderson JM, Maresh CM. Auswirkungen eines Multi-Nährstoff-Supplements auf die Trainingsleistung und hormonelle Reaktionen auf Widerstandstraining. Eur J Appl Physiol. 2007;101(5):637–46.
23. White JP, Wilson JM, Austin KG, Greer BK, St. John N, Panton LB. Wirkung von Kohlenhydrat-Protein-Supplement-Timing auf akute trainingsinduzierte Muskelschäden. J Int Soc Sport Nutr. 2008;5:5.