Multi-Vitamine zählen zu den am häufigsten nachgefragten Nahrungsergänzungen überhaupt. In den USA geht man davon aus, dass etwa 1/3 aller Erwachsenen ein Multi-Vitamin zu sich nehmen. Bei Kindern und Jugendlichen ist es etwa ¼ (1, 2).
Im Jahr 2020 belief sich der Umsatz für Nahrungsergänzungen in den USA auf etwa 55,7 Milliarden Dollar. 21,2 Milliarden Dollar wurden für Ergänzungen ausgegeben die Vitamine, Mineralstoffe oder beides enthielten (3).
In der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre gab es rund 9,24 Millionen Personen, die täglich oder fast täglich Vitaminpräparate verwendeten (5).
Spannend, denn Institutionen wie die Verbraucherzentrale betiteln Nahrungsergänzungen in ihrer Gesamtheit als größtenteils überflüssig und teilweise sogar gefährlich (6).
Wer vom Fach ist, weiß es besser! Gefahren, die von Nahrungsergänzungen ausgehen, haben in den allermeisten Fällen etwas mit unsachgemäßer Anwendung und in den wenigsten Fällen mit den Produkten selbst zu tun. Dies gilt auch für Multi-Vitamine.
Sehen wir uns das Für und Wider von Multi-Vitaminen heute einmal etwas genauer an.
Definition
Unter einem „Multi-Vitamin“ versteht man grundsätzlich ein Präparat aus mehreren Vitaminen oder Vitaminen und Mineralstoffen. Einige Hersteller versehen deren Multi-Vitamin-Präparate zusätzlich mit weiteren funktionellen Inhaltstoffen wie Grüntee, CoenzymQ10 oder probiotischen Stämmen.
Für Multi-Vitamine gibt es weder eine Vorgabe für enthaltene Substanzen noch für jeweils enthaltene Mengen, weshalb der Markt verschiedenste Zusammensetzungen bereithält (4).
Studien, die sich mit Effekten und potenziellen Nebeneffekten von Multi-Vitamin-Präparaten befassen, definieren diese häufig völlig unterschiedlich, was es erschwert verallgemeinernde Aussagen zu treffen.
- Einmal gelten Nahrungsergänzungen als Multi-Vitamin, wenn sie mindestens drei Vitamine und Mineralstoffe in Mengen unterhalb UL (Upper Limit) enthalten (7)
- Ein anderes Mal ist von Multi-Vitaminen erst die Rede, wenn alle 12 Vitamine und 10 Mineralstoffe enthalten sind (8)
Inwieweit Multi-Vitamine per se gesundheitsfördernd sind, lässt sich aus Studien zudem schwierig ableiten, da dies von etlichen auch Produkt unabhängigen Variablen abhängt:
- Versorgungsstatus der Probanden über die Ernährung
- Lifestyle der Probanden
- Bestehende Erkrankungen der Probanden
- Einnahme von Medikamenten die sowohl die Resorption als auch den Bedarf beeinflussen können
Fazit
Grundlegend handelt es sich bei einem Multi-Vitamin um eine Nahrungsergänzung, die sich aus mehreren Vitaminen oder Vitaminen, Mineralstoffen sowie anderen funktionellen Substanzen zusammensetzt.
Eine klare Definition wie ein Multi-Vitamin auszusehen hat, gibt nicht. Dem Verbraucher erschwert dies die Wahl des richtigen Präparats.
Die Wissenschaft steht vor dem Problem, keine allgemeingültigen Aussagen ableiten zu können.
Einfluss von Multi-Vitamin Präparaten auf die Gesundheit
Trotz der oben genannten Erschwernisse für generelle Aussagen gibt es Studien, die sich mit der Verwendung von Multi-Vitamin-Präparaten zur Aufwertung der Nährstoffzufuhr und hierüber mit Effekten auf die Gesundheit oder aber zur Prophylaxe vor chronischen Krankheiten befasst haben.
Abdeckung mit Nährstoffen
Fest steht, dass ein Multi-Vitamin die Nährstoffzufuhr erhöht und damit Menschen helfen kann, deren Bedarf abzudecken, wenn sie dies nicht über deren normale Ernährung bewerkstelligt bekommen (8, 9).
Die individuelle Versorgungssituation des Anwenders gepaart mit dem sonstigen Konsumverhalten entscheidet darüber, ob ein Multi-Vitamin:
- sinnvollen Ausgleich schafft
- eine Aufnahme fördert, die sogar über den Upper Limits einzelner Substanzen liegt (10, 11)
Eine größere Kohortenstudie aus den USA mit 90711 Probanden ermittelte die Nährstoffzufuhr mit und ohne Multi-Vitamin-Ergänzungen via Fragebogen.
Von allen Beteiligten meldeten 23 % die Verwendung eines Multi-Vitamins rück. Wenngleich man bei einem relevanten Anteil der Probanden auch ohne Multi-Vitamin eine gute Nährstoffversorgung feststellen konnte, erhöhte sich die Zahl der Probanden mit guter Versorgung, wenn ein Multi-Vitamin ergänzt wurde. Die größten Benefits zeigten sich bei Vitaminen A, E und Zink.
Tückisch gestalteten sich Auswertungen, die in 10 bis 15 % von einer überhöhten Aufnahme bei Vitamin A, E und Zink sowie in 48 bis 61 % bei Niacin über dem Upper Limit berichteten (12).
Weitere relevante Studien stellte fest, dass gerade Bevölkerungsgruppen mit einem erhöhten Risiko auf Nährstoffdefizite nicht auf Ergänzungen zurückgreifen (13), während Menschen die Multi-Vitamin-Präparate verwenden auch über die Ernährung bereits mehr Mikronährstoffe zu sich nehmen als Nicht-Konsumenten (11).
Aus Versorgungssicht gehen Bird et al (8) bei diesen Personengruppen von einem höheren Nährstoffbedarf aus:
- Erwachsene Frauen allgemein
- Schwangere und Stillende
- Unter- und Übergewichtige
- Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status
Prophylaxe vor chronischen Krankheiten
Inwieweit sich die Aufnahme von Multi-Vitamin-Präparaten zur Vorbeugung vor chronischen Krankheiten eignet, wurde bislang größtenteils in Beobachtungsstudien untersucht mit sehr gemischten Ergebnissen (15).
Aus den wenigen klinischen Studien, bei denen nach dem Zufallsprinzip Probanden in Gruppen mit echtem Präparat oder Placebo eingeteilt wurden, ließ sich ebenfalls nur ein potenziell gesundheitsfördernder oder ausbleibender Nutzen feststellen.
Wie bereits erwähnt, steht die Wissenschaft vor dem Problem identische Mengen und Kombinationen an Nährstoffen miteinander zu vergleichen.
Fazit
Ein sinnvolles Multi-Vitamin unterstützt den Anwender dabei, seinen täglichen Bedarf an Mikronährstoffen abzudecken. Da Multi-Vitamine als „Ergänzung“ und nicht als „Ersatz“ anzusehen sind, disqualifiziert dieser Standpunkt bereits alle Präparate die überhöhe Dosierungen über 100 % RDA enthalten.
Der Grat zwischen sinnvoller Ergänzung und potenziell gefährlicher Überdosierung ist schmal.
Einfluss von Multi-Vitamin-Präparaten auf Sport
Die große Frage, die es zu klären gilt, ist, ob Sportler des Sportes wegen einen erhöhten Nährstoffbedarf aufweisen als dieser bei unsportlichen Zeitgenossen gegeben ist.
Stella Lucia Volpe sieht dies in ihrem Review (16) als nicht zwingend gegeben, regt aber dennoch an, dass viele Sportler offenbar eine unzureichende Menge an Nährstoffen über die Ernährung zu sich nehmen.
Die Gründe sind vielfältig:
- Zu niedrige Gesamtkalorienzufuhr
- Schlechte Diät Qualität
- Einseitiges Ernährungsprotokoll
Der Untersuchung zur Folge könnten Sportler auch ohne ein Multi-Vitamin auskommen, wenn sie sich mindestens isokalorisch, ausgewogen und abwechslungsreich ernähren. Sportler mit eingeschränkter Energiezufuhr oder eingeschränkter Lebensmittelauswahl können von der Aufnahme entsprechender Ergänzungen profitieren.
Wichtig ist es für Sportler, den Zustand der Versorgung und die Gestaltung der Ernährung mit einer qualifizierten Person zu überwachen. Besonders häufig seien Mangelversorgungen bei Eisen, Kalzium, Magnesium, Zink und Vitamin B12 feststellbar.
Fazit
Sportler zu sein, bedeutet nicht zwingend immer auch automatisch eine perfekte Nährstoffversorgung aufzuweisen, ganz im Gegenteil! Studien berichten häufig von Defiziten insbesondere unter eingeschränkter Energiezufuhr oder bedingt über einseitige Lebensmittelauswahl.
Ein erhöhter Nährstoffbedarf scheint für Sportler nicht generell gegeben zu sein, allerdings entscheidet eine gute Betreuung und Planung in diesem Bereich durchaus über wichtige Vorteile im sportlichen Wettkampf.
Resümee und Praxis-Tipp
Wenn es um die Versorgung mit Mikronährstoffen wie Vitaminen oder Mineralstoffen geht, sehe ich aus der Praxis heraus eine hohe Relevanz für eine gezielte Ergänzung.
In den seltensten Fällen ist eine selbst-gestaltete Ernährung derart optimiert, dass damit das gesamte Spektrum an Nährstoffen aufgenommen wird.
Dürfte ich nur einen einzigen Rat zum Umgang mit Mikronährstoffen geben, wäre dieser für alle Leserinnen und Leser, sich die Mühe zu machen, die eigene Ernährung von einer fachkundigen Person kritisch in Hinblick auf die Versorgung auswerten zu lassen.
Neben den nüchternen Zahlen aus Analysen gilt es hierbei auch einen Blick über Darreichungsformen und Bioverfügbarkeiten zu werfen, um die tatsächliche Versorgung abschätzen zu können.
Bei einigen Nährstoffen kann auch ein Laborbefund Aufschluss geben. Gehen aus dieser Analyse Versorgungslücken hervor, sollten diese gezielt geschlossen werden. Ob sich hierfür ein Multi-Vitamin oder isolierte Nährstoffe besser eigenen entscheidet der Einzelfall.
Für alle diejenigen, denen dieser Aufwand zu hoch ist, die aber dennoch gerne im Bereich Mikronährstoffe ergänzen möchten, lautet mein Rat, die Finger von überdosierten Präparaten zu lassen und sich stattdessen auf Präparate zu verlassen, die auch wirklich als Ergänzung und nicht als Ersatz fungieren.
Auch bei Vitaminen gibt es ein „zu viel“!
Studien belegen, dass eine Aufnahme über der unbedenklichen Höchstgrenze des Upper Limit Intakes immer wieder von Anwendern erreicht werden.
Sportliche Grüße
Holger Gugg
Quellen
(1) https://www.mdpi.com/2072-6643/10/8/1114
(2) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29913013/
(3) https://store.newhope.com/products/2021-supplement-business-report
(4) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17209208/
(5) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/181202/umfrage/haeufigkeit-verwendung-von-vitaminpraeparaten/
(6) https://www.verbraucherzentrale.de/aktuelle-meldungen/lebensmittel/endlich-klartext-bei-nahrungsergaenzungsmitteln-13409
(7) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK38082/
(8) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28672791/
(9) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29470410/
(10) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28792457/
(11) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17209209/
(12) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17209210/
(13) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17209206/
(14) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31225890/
(15) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17209220/
(16) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17241918/