In Teil 1 haben wir bereits erfahren, was die herkömmliche Kartoffel und Süßkartoffeln gemeinsam haben oder auch nicht. Zudem wurde die Frage geklärt, welche der beiden Darreichungsformen auf Seiten der Nährstoffe bessere Karten hat. Tatsächlich wird gerade die Süßkartoffel von mehreren Institutionen und Internetauftritten als besonderes wertvolles Lebensmittel bezeichnet. Trotz dieser Tatsache muss sich der Anwender seine Gedanken bei der jeweiligen Zubereitung machen, da sich über sie größere Unterschiede in der Kalorien- und Nährstoffbilanz ergeben können.
Auch in Teil 2 gehen wir nochmals auf die Unterschiede verschiedener Darreichungs- und Zubereitungsformen der Süßkartoffel ein, dieses Mal aber mit verstärktem Augenmerk auf die glykämische Bewertung, also den glykämischen Index (GI) und die glykämische Last (GL). Abschließend hält auch dieser Beitrag wieder einige praxisrelevante Hard-Facts für Euch bereit.
Unterschiede in der glykämischen Bewertung am Beispiel der Kartoffel
Verglichen mit anderen Lebensmitteln weisen herkömmliche Kartoffeln eine relativ hohe glykämische Bewertung auf, die sich über einem vergleichsweise hohen Gehalt an schnell verdaulicher Stärke begründet (siehe Teil 1). Differenziert man das Thema GI und GL nun nochmal über die Zubereitungsart, fällt einerseits auf, dass hier auch innerhalb derselben Methodik größere Schwankungen bestehen. Auf der anderen Seite nehmen auch die Zubereitungsarten selbst einen gewissen Einfluss.
Während sich eine Streuung von 10 bis 15 Einheiten über die Messgenauigkeit erklären lässt, reichen die Unterschiede dennoch teilweise weit darüber hinaus. Sie geben Aufschluss über weitere Faktoren wie die Kartoffelsorte, die Darreichungsform oder aber die Zubereitung. Für Frühkartoffeln, Kartoffeln aus Konserven, Kartoffelklöße oder Pommes Frites wird ein geringerer GI angegeben. Bei Pommes Frites lässt sich die verzögerte Blutzuckerreaktion über zum Frittieren verwendetes Fett begründen, welches den Blutzucker eigenständig oder über die Bildung von Amylose-Lipid-Komplexen reduziert. Bei vorab via Hitze beeinflusster Kartoffelzubereitungen kommt es durch Abkühlen zur sog. Retrogradation und damit zu einer verringerten Verdaulichkeit eines gewissen Anteiles der Stärke in Kartoffeln, was letztlich in einem verringerten GI und einer niedrigeren GL resultiert. Bei Frühkartoffeln könnte sich ein etwas anderer Aufbau enthaltener Stärke mindernd auf die glykämische Bewertung auswirken. Denkbar wäre ein niedrigerer Verzweigungsgrad von Amylopektin, der ebenfalls die Verdaulichkeit reduziert. Relativiert man die glykämische Reaktion der Kartoffel nun über die übliche Portionsgröße, fällt in der Abbildung zur GL auf, dass Reis und Nudeln höhere Werte aufweisen.
ACHTUNG – Milchmädchenrechnung
Wer denkt, frittierte Kartoffeln seien nun „besser“, weil sie den Blutzucker weniger stark in die Höhe schnellen lassen, muss der Vollständigkeit halber wissen, dass der Kaloriengehalt pro 100g durch das Frittieren in keinem Verhältnis zur frischen Kartoffel steht UND dass Fett sich anders als vielfach vermutet NICHT auf den Insulin-Effekt enthaltener Kohlenhydrate auswirkt. Im Klartext bedeutet dies: Selbst wenn die Blutzuckerreaktion geringer ausfällt, wird dennoch mindestens genauso viel Insulin von der Bauchspeicheldrüse abgegeben und auf den Kohlenhydrat-Fett-Brei aus Pommes Frites los gelassen. Worin genau hier der Nachteil liegt, muss denke ich nicht weiter vertieft werden (23).
Fazit
Eine Reihe von Faktoren beeinflusst die echte glykämische Bewertung der Kartoffel. Auf einige nehmen wir willentlich Einfluss, andere ergeben sich aber auch über den spezifischen Stärkeaufbau der jeweiligen Sorte. Unterm Strich fällt die GL bei Kartoffeln trotz der moderaten Bewertung noch immer niedriger aus, als bei anderen typischen Kohlenhydratlieferanten wie Reis oder Nudeln, was sicher dem Gesamt-Kohlenhydratgehalt pro typischer Portion geschuldet ist.
Glykämische Bewertung der Süßkartoffel
Recherchiert man gezielt nach dem glykämischen Index (GI) von Süßkartoffeln, finden sich Werte in einer extrem großen Schwankungsbreite von 44 bis sogar 96 Zählern. Bei der glykämischen Last (GL) werden Werte von 11 bis 26 Zähler angegeben (14,15).
Allen und Kollegen (23) befassten sich 2012 mit der glykämischen Bewertung der Süßkartoffel unter Berücksichtigung mehrerer Zubereitungsarten, wie herkömmlichem Kochen und einem Erwärmen in der Mikrowelle. Auch untersuchten sie, inwieweit sich Unterschiede in der Verabreichung geschälter und ungeschälter Süßkartoffeln oder aber der Haut selbst ergeben. Alles wurde verglichen mit einer Gabe von Glucose. Prinzipiell lassen sich den Forschern zur Folge unglaublich viele Variablen anführen, die die glykämische Bewertung eines Lebensmittels beeinflussen können:
? Verdaulichkeit des Stärkenteils
? Wechselwirkungen mit enthaltenem Fett, Protein oder anderen Zuckerarten
? Ballaststoffgehalt
? Verarbeitung
? Reifegrad
? Zubereitungsmethode
Versuch 1
Das Ergebnis eines Versuches mit Verabreichung von 50g Kohlenhydraten. Dieses Mal wurde auch die herkömmliche Kartoffel einmal ohne und einmal mit zusätzlicher Gabe einer Menge von 4g Caiapo in die Untersuchung mit einbezogen. Indes erhoben die Forscher Daten zur stattfindenden Insulinausschüttung und der Bildung von C-Peptid (der Vorläufer von Insulin der nach seiner Bildung in Insulin und C-peptid gespanten wird).
Der glykämische Index fiel mit 52 Zählern am höchsten bei herkömmlichen Kartoffeln aus, gefolgt von Süßkartoffelfleisch mit 49 Zählern und der ganzen Süßkartoffel (Fleisch + Haut) mit 39 Zählern. Schlusslichter bildeten die mit Caiapo angereicherte herkömmlichen Kartoffeln mit 30 Zählern und letztlich die Süßkartoffelhaut mit 26 Zählern. Wie beigefügte Darstellung zeigt, war auch die Bildung Insulin sowie C-Peptid bei Süßkartoffeln schwächer ausgeprägt. Caiapo vermochte die Insulineffizienz (Freisetzung und Zell-Sensivität) und damit die Bildung von C-Peptid mit Aufnahme der herkömmlichen Kartoffel zu verbessern, erreichte jedoch nicht vollständig das Niveau der Süßkartoffel, weshalb man es nicht gänzlich für den blutzucker- und insulinregulierenden Effekt der Süßkartoffel verantwortlich machen kann. Vermutet wird, dass auch in der Süßkartoffel enthaltenes Acid-Soluble Glycoprotein, der spezifische Fasergehalt (Ballaststoffe) oder andere bioaktive Substanzen im Proteingehalt in das Blutzuckergeschehen eingreifen. In der Diskussion stehen zudem Amylase-Inhibitoren und deren Einfluss auf die Stabilität von Stärkemolekülen, sowie enthaltene Trypsin-Inhibitoren, mit denen die Thermostabilität beeinflusst werden kann.
Was ist dieses Caiapo?
Bei Caiapo handelt es sich um einen aktiven Inhaltstoff, der sich in einer bestimmten Süßkartoffelart namens „Ipomoea batatas“ mit weißer Haut und weißem Fleisch, nicht aber in herkömmlichen Kartoffeln wiederfindet. Caiapo ist längst kein unbeschriebenes Blatt mehr und hat sich bereits in einigen Studien in Dosen von 4g täglich als wirksam zur Senkung des Blutzuckers, aber auch zur Senkung des Gesamt-Cholesterin- sowie des LDL-Spiegels bei Diabetikern erwiesen (24-28). Oooi et al sehen in deren Review dennoch weiteren Forschungsbedarf zur endgültigen Klärung eines klaren Effekts (29). Wer als „Süßkartoffel-Fetischist“ von Caiapo profitieren möchte, muss die Caiapo-Süßkartoffel ganz essen, da sich das Meiste davon in der Schale befindet.
Fazit
Der glykämische Index der Süßkartoffel reicht je nach Zubereitungsart von 28 bis 66 Zählern und damit von einer geringen bis hin zu einer moderaten Bewertung, die insgesamt aber niedriger ausfällt, als bei der herkömmlichen Kartoffel. Neben Unterschieden, die sich auch hier über die Zubereitungsart ergeben, scheinen einige besondere Inhaltstoffe der Süßkartoffel die Blutzucker- und auch Insulinreaktion positiv zu beeinflussen.
DAS ist noch wichtig
Bei allen Lobeshymnen zur Süßkartoffel ist dennoch wichtig zu wissen, dass es auch seine Tücken haben kann, diese in bestimmten Fällen in hoher Menge zu verzehren. Durch ihren Anteil an Oxalaten erhöht sich das Risiko auf Nierensteinbildung, insbesondere bei Personen, die hiermit von Grund auf bereits ein Problem haben (30). Oxalate tun dies, indem sie die Calciumabsorption hemmen und mit Calcium sowie Eisen Verbindungen eingehen, die durch weitere Aggregationsvorgänge in der Ausbildung von Nierensteinen resultieren können. Auch Gicht, Rheuma und Arthritis werden mit Oxalaten in Verbindung gebracht. Wenn es um Oxalate geht muss man dennoch wissen, dass die Süßkartoffel nicht zu den Spitzenreitern beim Gehalt pro 100g zählen. Hier wären eher Lebensmittel wie Buchweizen, Rhabarber, Sternfrucht, Schwarzer Pfeffer, Petersilie, Amarant, Mohnsamen, Spinat, Spargel, Heidelbeeren und Rote Beeren sowie auch viele Nusssorten und Kakao zu nennen. Den Oxalatgehalt senken kann man, indem man Lebensmittel vor dem Verzehr einige Stunden in Wasser einweicht (33).
In der Kritik steht die Süßkartoffel gelegentlich auch wegen Blausäure, die sich in einigen Sorten in relevanten Mengen nachweisen lässt. Blausäure steht unter Verdacht, die Zellatmung zu hemmen und so den Niedergang von Zellen zu fördern. Trotz besagter Meldungen wird der moderate Verzehr von Süßkartoffeln für gewöhnlich nicht zum Problem, da körpereigene Entgiftungseinrichtungen in der Lage sind dies zu kompensieren. Auch bei Blausäure finden sich Lebensmittel mit einem höheren Gehalt, wie beispielsweise Maniok als weitere Wurzelknolle.
Resümee
- Süßkartoffeln zählen zu den Lebensmitteln mit dem höchsten nutritiven Nutzen überhaupt
- Etliche Faktoren wie auch die Zubereitung beeinflussen den echten Nährstoffgehalt
- Süßkartoffeln eignen sich dank eines geringeren Einflusses auf Blutzucker und Insulin besser für Reduktionsdiäten oder Personen, die auf den Anstieg des Blutzuckers ausgehend von Lebensmitteln achten müssen
- Großen Anteil an den glykämischen Vorteilen der Süßkartoffel hat die nur in einer bestimmten Sorte vorkommende Substanz Caiapo
- Wer viele Süßkartoffeln verzehrt sollte sich mit enthaltenem Oxalat auseinandersetzen und dafür sorgen dass er eine gesunde Leber sein eigen nennt
Ich denke nicht für jeden, dennoch aber für eine Vielzahl aller Leserinnen und Leser kann die Ausgangsfrage „Die Süßkartoffel – Zu Recht beliebter als die herkömmliche Kartoffel?“ mit einem klaren JA beantwortet werden.
Sportliche Grüße
Holger Gugg
www.body-coaches.de
Quellen
(1) http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2722699/
(2) http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2722699/
(3) http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2722699/
(4) http://pubs.sciepub.com/ajfn/3/5/3/
(5) http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3941159/
(6) http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19199932
(7) http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12562864
(8) http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23889156
(9) http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23889156
(10) http://www.health.harvard.edu/staying-healthy/microwaving-food-in-plastic-dangerous-or-not
(11) http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S030881469900206X
(12) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20509611/
(13) http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1043452606520017
(14) http://www.glycemicindex.com/
(15) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16925852
(16) http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/0308814696000568#
(17) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19960393
(18) http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1467-3010.2005.00481.x/full
(19) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19562607
(20) http://whfoods.org/genpage.php?dbid=64&tname=foodspice
(21) http://whfoods.org/genpage.php?dbid=64&tname=foodspice
(22) https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2010/04_10/EU04_2010_184_189.qxd.pdf
(23) https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2010/04_10/EU04_2010_184_189.qxd.pdf
(24) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12870164
(25) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/14747225
(26) http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1463-1326.2007.00752.x/abstract
(27) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15797679
(28) http://care.diabetesjournals.org/content/25/1/239.full
(29) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24000051
(30) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24393738
(31) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17135028
(32) http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1043452606520017