Liebe BLOG-Leserinnen und Leser, Liebe PEAK-Kundinnen und Kunden,
in Teil 1 meines BLOG-2-Teilers habe ich mich mit der Kategorisierung verschiedener Dehnmethoden befasst und damit die Basis für weitere Darstellungen bzw. der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Dehnungsübungen zur Leistungssteigerung geschaffen. Aus Teil 1 wissen wir, dass - zumindest in Verbindung mit Training - ein statisches Dehnen eher kontraproduktiv wirkt. Dynamische Dehnprogramme erfüllen teilweise einen gewissen Zweck, sofern sie sorgfältig mit der richtigen Ausführung absolviert werden.
Heute soll es um den Einsatz von Dehnungsübungen zur Verletzungsprophylaxe, zur Ablinderung von Muskelkater und allgemein im Gesundheitssport gehen. Ich werde mich zudem damit befassen, ob man durch Krafttraining tatsächlich zu einer Verkürzung von Muskeln beitragen kann.
Dehnen – Essentiell, unwichtig oder sogar kontraproduktiv? - Teil 1
Viel Spaß
Dehnen gegen Muskelkater
Jeder, der nach dem Training dehnt, um damit Muskelkater vorzubeugen, ist einem Mythos auf den Leim gegangen. Wer sich nach einem mikrotraumatischen Training noch ordentlich dehnt, der sorgt dafür, dass Faserrisse im Gewebe der Muskulatur unter Umständen noch größer werden. Dies führt zu einer noch stärkeren Bildung von Ödemen, noch stärkeren Entzündungsvorgängen und so für noch mehr Muskelkater, ganz zu schweigen von einer verzögerten Regeneration. Intensive Dehnprogramme lösen enorme mechanische Spannungen im Muskel aus, die unabhängig von einem voran gegangenen Krafttraining zu Muskelkater (DOMS - delayed onset muscle soreness) führen können.
Buroker und Schwane stellten in einem Artikel der „Physican & Sports Medicine“ fest, dass durchgeführte Dehnübungen nach exzentrischem Training mit dem beanspruchten Muskel, das Entstehen von Muskelkater nicht verhindern konnten.
High et al. wiesen nach, dass bei Versuchspersonen, die mit einem Bein exzentrisch und mit dem anderen konzentrisch arbeiteten, bei dem exzentrisch arbeitenden Bein höhere Werte von Muskelkater vorzufinden waren als bei dem konzentrisch arbeitenden Bein. Unabhängig davon, ob vorher Dehnübungen und Aufwärmprogramme durchgeführt wurden. Dies bestätigt zum einen ein höheres Muskeltraumata-Aufkommen bei exzentrischer Arbeit, deutet aber auch darauf hin, dass mit Dehnübungen keinerlei Verbesserung der Muskelkatersymptomatik zu erwarten ist.
In der deutschen Zeitschrift für Sportmedizin wurde ebenfalls eine Studie mit 24 weiblichen Probanden einer Gymnastikgruppe im Alter von 25-45 Jahren durchgeführt. Alle Probandinnen waren gesund und führten neben dem Gymnastiktraining im Versuchszeitraum keine weitere sportliche Betätigung aus. In der Studie wurde vor jedem der fünf Sätze eines exzentrischen Beintrainings im einen Bein ein dreiminütiges statisches Dehnprogramm ausgeführt, während das Kontrollbein zwar trainiert, aber nicht gedehnt wurde. Im Ergebnis wurde im gedehnten Bein sogar mehr Muskelkater festgestellt. Dies zeigt beigefügte Darstellung:
Fazit
Wer dehnt, um damit Muskelkater vorzubeugen, der muss aufpassen, dass er durch eine falsche Dehntechnik den Muskelkater nicht noch verschlimmert. Signifikante Vorteile sind nicht zu erwarten.
Verkürzen Muskeln durch Krafttraining?
Wie oft ich mir diesen Spruch schon anhören durfte: „Durch Krafttraining verkürzen sich Deine Muskeln“… soso und wie genau soll das gehen, immerhin ist die Muskellänge doch genetisch vorgegeben?
Die Antwortet lautet: Es geht gar nicht und die These der Verkürzung von Muskeln durch Krafttraining stellt einen beliebten, leider aber absolut realitätsfremden Mythos dar. Mit Dehnen lässt sich weder die “funktionelle Länge“ eines Muskels beeinflussen noch eine funktionelle Muskelverkürzung beheben. Längenveränderungen finden generell nur innerhalb der Elemente einer Muskelfaser statt (Aktin, Titin, Myosin und Co). Ansatz und Ursprung eines Muskels können nicht verändert werden, auch mit Krafttraining nicht. Was man mit Hypertrophie erreicht, dass ist neben der Zunahme des Muskelquerschnitts und der Muskelkraft auch eine Zunahme der Ruhespannung (der sog. Tonus). Dies ist durch einen Zuwachs kleinster Titinfilamente innerhalb der Muskelfaser möglich.
Wenn von verkürzten Muskeln die Rede ist, dann meinen viele damit eine eingeschränkte Beweglichkeit bzw. das Eintreten eines Dehnungsreizes vor dem Erreichen der maximalen Gelenkendstellung. Dehnungsübungen können also weder einer Verkürzung vorbeugen noch einen Muskeln „länger“ machen. Verändert werden kann lediglich die Schwelle, bei der eine Dehnung als unangenehm empfunden wird.
Funktionell betrachtet können „Verkürzungen“ entstehen, wenn ein Muskel seine optimale Kraftentfaltung in einem kleineren Funktionswinkel hat, als er haben sollte oder haben könnte. Dies hängt oftmals von der Sportart oder Belastungsart ab, für welche der jeweilige Muskel im Einsatz ist. In derartigen Fällen sollte man betreffende Muskeln aber nicht dehnen, sondern zum Ausgleich dafür sorgen, dass zum einen der Muskel über einen möglichst großen Bewegungsumfang (Range of Motion – ROM) trainiert wird und zum anderen eine Kräftigung des Antagonisten stattfindet, indem auch er über den maximal möglichen Bewegungsumfang trainiert wird. So entsteht innerhalb dieser Beziehung wieder ein Gleichgewicht (muskuläre Balance).
Für beweglichkeitsdeterminierte Sportarten, wie rhythmische Sportgymnastik, Geräteturnen oder aber Kampfsport sowie Hürdenlauf, machen Dehnprogramme Sinn, nicht aber aufgrund möglicher verkürzter Muskeln, sondern für eine generelle Verbesserung der Beweglichkeit. Dynamische Dehnprogramme erweisen sich für diesen Zweck als wirkungsvollere Methode.
Interessant
Anders als vielfach in der Damenwelt erhofft, kann man einen Muskel auch nicht „schlank“ dehnen!
Fazit
Muskeln können nicht „verkürzen“. Regelmäßiges Dehnen erhöht die Schmerzschwelle und damit die Resistenz gegen Dehnungsschmerz. Einen Muskel verlängern oder eine vermeintliche Verkürzung beheben, das ist durch ein Dehnprogramm nicht möglich.
Verletzungsprophylaxe durch Dehnen
Immer wieder liest man Vorteile in Zusammenhang mit Dehnen in Sachen Verletzungsprophylaxe. Es soll also möglich sein, dass man mittels Dehnen Verletzungen vorbeugen kann.
Um diesem Mythos auf den Grund zu gehen, untersuchte C. Sommer den Zusammenhang zwischen Dehnen, einer gesteigerten Elastizität, verbesserter Dehnfähigkeit der Muskulatur und einem verminderten Verletzungsrisiko. Er stellte dazu an 57 erfahrenen Läuferinnen und 241 erfahrenen Läufern fest, dass Bewegungseinschränkungen regelmäßig auftreten, konnte aber KEINEN Nachweis erbringen, dass Dehnungsübungen das Auftreten von Muskelbeschwerden, Verletzungen und Muskelverkürzungen reduzieren.
Im British Medical Journal wurde eine Meta-Analyse australischer Forscher veröffentlicht, die im Ergebnis aus 5 involvierten Studien keinerlei signifikanten Zusammenhang zwischen regelmäßigem Dehnen und dem Verletzungsrisiko bzw. dem Auftreten von Muskelschmerzen feststellten. Zitat: „Der Nutzen ist so gering, dass sich die Sportler die Mühe schenken können“. Öfter wurden sogar negative Auswirkungen durch falsches Dehnen festgestellt. Die Probanden der verschiedenen Studien waren sowohl trainiert als auch trainingsunerfahren.
Anders als Dehnungsprogramme empfiehlt sich ein allgemeines Warm-Up generell vor sportlicher Betätigung. Lediglich für Sportarten, bei denen es auf Beweglichkeit ankommt, liegt die Überlegung nahe, direkt benötigte Muskelgruppen vor der Beanspruchung „warm zu dehnen“. Unter diese Kategorie fallen jedoch weder Ausdauer- noch Kraftsportarten!
Fazit
Stretching reduziert leider nicht das Verletzungs-Risiko in Verbindung mit sportlicher Belastung. Wesentlich wichtiger erscheint hierzu ein allgemeines Warm-Up und damit verbunden eine Aktivierung des Herz-Kreislaufssystems, einer vermehrten Durchblutung und einer Aktivierung des sympathischen Nervensystems.
Gesundheitliche Relevanz
Wenn es darum geht, die reine Beweglichkeit im Gesundheitssport zu erhalten, dann erfüllen Dehnübungen ihren Zweck. Die Trainingsbelastung und Trainingsfrequenz ist meist nicht derart hoch, dass man Überscheidungen bezüglich Muskeltraumata befürchten muss. Experten empfehlen in diesem Bereich den Einsatz dynamischer Dehnübungen, da es im Sinne der Zweckgymnastik besser seinen Nutzen erfüllt als statisches Dehnen.
Was man mit Dehnen nicht vermag, ist der Ausgleich muskulärer Dysbalancen, wie sie aufgrund von Haltungsfehlern gerade in der heutigen „Schreibtisch-Gesellschaft“ gerne entstehen. Haltungsfehler sorgen zudem für starke Verspannungen. Diesen kann man durchaus mit regelmäßigen Dehnübungen vorbeugen. Am Beispiel der sitzenden Tätigkeit macht es beispielsweise Sinn, sich um regelmäßiges Dehnen der Oberschenkel, Hüftbeuger, des unteren Rückens sowie der Nacken- und Brustmuskulatur zu kümmern. Um muskuläre Dysbalancen auszugleichen, bedarf es aber zudem immer eines kräftigenden Trainings beteiligter Muskelstrukturen zum Ausgleich.
Fazit
Dehnungsübungen können im Gesundheitssport und im Alltag dazu verwendet werden, die Beweglichkeit zu erhalten und Verspannungen vorzubeugen.
Wie könnte / sollte ein Dehnprogramm aussehen
Wer durch Dehnen seine Beweglichkeit verbessern möchte, sollte sich innerhalb folgender Minimal- und Maximalvorgaben bewegen:
Minimalprogramm
- Dehndauer (dynamisch im Wechsel oder statisch) bis 45 Sekunden
- Satzzahl 3-4
- Trainingshäufigkeit pro Muskelgruppe pro Woche 2-3x
Maximalprogramm
- Dehndauer (dynamisch im Wechsel oder statisch) bis 45 Sekunden
- Satzzahl 3-4
- Trainingshäufigkeit pro Muskelgruppe pro Woche täglich
Fazit
Wer über Dehnen seine Beweglichkeit auf Vordermann bringen möchte, kann sich hierzu an Minimal- und Maximalvorgaben orientieren. Je öfter man sich dehnt, desto effektiver. Bei mehr als 2-3x Einheiten pro Woche finden Verbesserungen der Beweglichkeit Ausmaß statt, allerdings nur im geringen Ausmaß.
Resümee
Die alte Lehrmeinung von vor 10 Jahren einmal komplett über den Haufen geworfen. Während für viele Leserinnen und Leser mein 2-Teiler möglicherweise nicht viel Neues beinhaltet, sondern lediglich bereits vorhandenes Wissen bestätigt, bin ich mir sicher, dass ein ebenso großer Teil von neuen Erkenntnissen erst einmal etwas überrollt wurde.
Fest steht, dass Dehnen keinesfalls eine derart wichtige Größe in den meisten Sportarten darstellt, wie dies noch immer propagiert wird. Besonders statisches Dehnen hat im Rahmen meiner Ausführung sehr schlecht abgeschnitten und zwar in ziemlich allen Bereichen. Für dynamisches Training wurden einige Vorzüge genannt, die aber immer nur dann gelten, wenn man mit einer sauberen Technik ans Werk geht und es mit Dehnungsreizen nicht übertreibt.
Insgesamt sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, nun in der Lage sein, dass für Sie richtige und beste Dehnprogramm auszuwählen und die Frage nach dem „ob überhaupt“ für sich beantworten können.
Sportliche Grüße
Holger Gugg
www.body-coaches.de
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